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Kreativität braucht Raum

Ateliernutzung Rechte Wienzeile 73
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Der Innenhof der Rechten Wienzeile 73 wirkt wie eine Bühne, die nur darauf wartet, bespielt zu werden. Rundherum tut sich etwas. Es sind immer wieder Sounds zu hören. Materialien, Objekte und Requisiten werden quer durch den weitläufigen Hof transportiert. Seit Anfang des Jahres wird ein Teil des Gebäudes von neun KünstlerInnen als temporäre Atelierfläche genutzt. Hier komponieren, fotografieren, bauen und proben sie.

Einer von ihnen ist der Performer und Tänzer Frans Poelstra, der zurzeit an einem Solo-Projekt arbeitet. Ausgehend von autobiografischen Materialien entwickelt er seine Stücke von Grund auf selbst und kombiniert dazu Tanz, Musik, Video und Text. Seine beiden Atelierräume im 1. Stock sind groß genug, um dafür zu proben, zu tanzen und sich zu bewegen. Im Nebenraum findet er noch Platz für einen Schreibtisch für die Arbeit am Computer.

Ursprünglich kommt Poelstra aus den Niederlanden, wo er nach langjähriger Arbeit hinter der Bühne selbst zu tanzen begann und die Richtung Post Modern Dance für sich entdeckte. Er studierte Anfang der 1980er Jahre an der SNDO (School for New Dance Development) in Amsterdam, einem der wichtigsten Ausbildungszentren im Tanzbereich, das maßgeblich an einer Neudefinition von Tanz beteiligt war. Die Ausbildung fokussierte stark auf Körperarbeit- und Bewusstsein, verwandt mit heute etablierten Techniken wie Contact Improvisation oder Feldenkrais – Praktiken, die in Tanzschulen bis dahin keine Rolle gespielt hatten. Daraus entstand eine neue Richtung. „Im Unterschied zu klassischen Tanzarten wie Ballett, das in die Höhe strebt und gegen die Schwerkraft ankämpft, setzt dieser Tanz am Boden bzw. an der Realität des Bodens an und es wird mit dem gearbeitet, was da ist“, erklärt Poelstra bei einem Besuch in seinem Atelier.

In Wien ist Poelstra zufällig gelandet. Er ist mit einer Österreicherin verheiratet, hat zwei Kinder und lebt seit mittlerweile 16 Jahren in der Stadt. Im Verhältnis zu anderen Großstädten schätzt er hier die außerordentlich hohe Lebensqualität. Wie er findet, ein Faktor, auf den die WienerInnen selbst gerne vergessen. Sein Alltag ist geprägt von zahlreichen Kollaborationen, dem internationalen Austausch innerhalb der dynamischen Tanzszene und dem Leben mit seiner Familie. Das Atelier in der Rechten Wienzeile bietet ihm dabei einen Rückzugsort, an dem er konzentriert an seinen Projekten arbeiten und neue Ideen entwickeln kann. 

Zusätzlich zu seinem Solo-Projekt beschäftigen ihn momentan Proben für eine andere Produktion. Das von der Regisseurin Liesbeth Gritter initiierte Projekt, das bereits vor einiger Zeit an einem Theater in Lissabon inszeniert wurde, zeigt sechs Personen, die ein identisches Skript auf unterschiedliche Weise interpretieren. Aufgrund der Einschränkungen durch COVID-19 entwickelte sie eine Onlineversion, die nun live über ein Videokonferenz-Tool inszeniert und präsentiert wird. Das Stück handelt von einer einsamen Person und dem zurückgezogenen Leben in ihrer Wohnung. Die im Drehbuch enthaltenen Aufgaben werden wieder von sechs DarstellerInnen gleichzeitig interpretiert, einer von ihnen ist Frans Poelstra. Für ihn liegt der Reiz dabei in der Spannung zwischen Gleichzeitigkeit und unterschiedlichem Timing der Darstellungen. Im Atelier probt Poelstra alleine mit seinem Laptop und nimmt sich dabei selbst auf. Er spielt uns die Eröffnungsszene vor, die in einer Küche spielt, und erzählt vom Alter Ego, das er dafür entwickelt hat: Ein Schauspieler, der keine Arbeit hat, sich in seiner Vorstellung aber permanent mit Filmen beschäftigt. Es folgen zahlreiche Referenzen auf Filmszenen, die Interaktion mit Objekten in der eigenen Wohnung und die Schlussszene, für die er sich ein Gorilla-Kostüm überzieht.

Im gegenüberliegenden Gebäudetrakt arbeitet die Choreographin, Tänzerin und Performancekünstlerin Akemi Takeya. Der Besuch in ihrem Atelier ist wie eine Spurensuche nach Bestandteilen ihrer Performances. Es finden sich Skizzen und kleine Notizen an den Wänden, Puppen und Objekte in Regalen. Dazwischen blitzt immer wieder ein kräftiges Zitronengelb hervor.

Akemi Takeya widmet sich seit einigen Jahren der Idee des Lemonismus in Anlehnung an historische Ismen, wie Symbolismus, Aktionsmus oder Minimalismus. Die Auseinandersetzung mit diesen durchwegs in Europa entstandenen Strömungen und der ihnen zugrundeliegenden Konzepte hat die in Japan geborene Künstlerin dazu gebracht, diesen Ismen ihren eigenen Lemonismus entgegen zu setzen. Sie beschreibt ihn als ihren Kosmos. Ihre Werke und Performances versteht sie als körperliche, materielle Untersuchung dieser Konzepte. Die tragende Rolle spielt dabei die Zitrone, die Takeya als Frucht stark mit dem Leben in Europa verbindet und für sie eine Metapher für die Transformation des Körpers darstellt. Sie spielt damit auf ihre Existenz zwischen den Kulturen und Geschlechter- und Identitätskonstruktionen in Japan und Europa an.

In einer ihrer Performances inszeniert sie den Kampf zwischen den Konzepten, konkret den Kampf zwischen dem Dadaismus und dem Lemonismus. Sie platziert dafür 72 Zitronen in einem Kreis und sich selbst in der Mitte – eine Bezugnahme auf die spirituelle und rituelle Symbolik des Mandalas im Hinduismus und Buddhismus, welches das Universum repräsentieren soll. Für jede der 72 Ismen hat sie eigene Bewegungsmuster- und Methoden, die sie während der Performance live abruft. Bei unserem Gespräch im Atelier präsentiert sie 72 selbstgefertigte Lemonhead-Puppen, von denen jede ebenfalls einem Ismus zugeordnet. Sie tragen Namen, die allesamt auf Tiere referenzieren, z.B. Theoretical Octopus, Conceptual Pig oder White Elephant.

Ihre Werke und Performances benötigen viel Vorbereitung. Für sie ist das Atelier ein multifunktionaler Raum, in dem sie mit verschiedensten Materialien und Techniken experimentiert, sich bewegt und – wenn bisher auch nur zögerlich – an ihrem Schrei- und Stimmtraining arbeitet. Ein Raum der Konzentration, der ihr Dinge ermöglicht, die in ihrer eigenen Wohnung nicht realisierbar wären.

Eigentlich wäre New York vor vielen Jahren ihre Wunschdestination gewesen. In Wien ist sie, ähnlich wie Poelstra, zufällig durch Kollaborationen und Workshops gelandet. Die Arbeitsbedingungen waren gut und dank ihrer Erfolge und der vorhandenen Förderstrukturen konnte sie ihre Arbeit über die Jahre hinweg stetig weiterentwickeln. So ist sie Wien und der österreichischen Tanzszene erhalten geblieben.

Akemi Takeya ist Choreographin, Tänzerin und Performancekünstlerin. Ihre Performances vereinen Bildende Kunst und Tanz mit Körper/Stimme. Sie entwickelte dafür eine eigene Body-Voice-Performance-Methode. Takeya wurde in Japan geboren, lebt aber seit vielen Jahren in Wien und prägt seither die österreichische Tanzszene.
www.akemitakeya.com

Frans Poelstra ist seit 1971 im Theater tätig, seit 1984 tritt er als Performer in zahlreichen Tanz- und Musikimprovisationsprojekten auf. In Wien lebt und arbeitet er seit 2004. Seine Solo-Performances entstehen aus autobiografischem Material und kombinieren meist Tanz, Musik, Video und Text. Außerdem arbeitet er bei Mellow Yelllow, ein inklusives Schulprojekt für Kinder und Jugendliche.
www.mad-dance.eu/mad-projekte/mellow-yellow/